Über den Zusammenhang von Lese- und Buchalter – Teil 2
Vor jetzt schon etwas längerer Zeit habe ich mir bei einem Online-Antiquariat ein Buch zu Goethe bestellt (Jahrgang 1948). An sich nichts Besonderes – und hier soll es auch weniger um das Buch gehen als um den Inhalt, der dem Päckchen noch beilag. Meistens bekommt man mit einer Bestellung nämlich auch noch irgendwelche Gutscheine oder Werbung mitgeschickt – Dinge, die man sich einmal anschaut und dann schnell wegwirft. Als dieses Mal mit meinem Buch auch ein Flyer für „Sterbegeld-Vorsorge“ zum Vorschein kam, der für eine Versicherung wirbt, die im Falle des eigenen Ablebens Geld für die Beerdigung zahlt, musste ich doch grinsen. Es mag purer Zufall sein, dass gerade diese Werbung beilag (wobei sich die Frage stellt: Was wollen alle unter 50, 60 damit?), und ich will mich auch überhaupt nicht lustig machen über denjenigen, der das Päckchen verschickt hat. Trotzdem passt es doch wieder ganz gut ins Klischeebild.
Zu Beginn dieses Jahres habe ich in einem anderen Artikel anhand eines „Tests“ bereits darüber gesprochen, dass einem hohen Buchalter häufig ein hohes Lesealter zugesprochen wird und einem jungen Buchalter ein junges Lesealter. Soll bedeuten: Klischeehaft lesen junge Leute neue Bücher und ältere ältere Bücher.
Schon damals habe ich versucht, dieses Klischee zu hinterfragen und irgendwo herzuleiten. Es mag zwar irgendwo etwas Wahres enthalten, aber wie so oft sollte man vermeiden, irgendwelche Pauschalaussagen zu treffen. Ein älterer Mensch kann zwar von seiner Lebenszeit her mehr in das Lesen eines Buches investiert haben, aber er muss es nicht zwingend. Und er muss auch nicht unbedingt ältere Bücher gelesen haben. Genauso liest nicht jeder junge Mensch Neuerscheinungen – was ja alles völlig in Ordnung ist, Geschmäcker sind verschieden.
Problematisch an diesem Klischee ist dabei auch die Definition von jung und alt (natürlich, es ist ein Klischee, da befindet sich alles in der individuellen Wahrnehmung, ich versuche es trotzdem zu verstehen). Wo liegt die Grenze zwischen beiden Kategorien? 30? 40? 50? Und ab wann ist ein Buch alt? Interessant ist auch, wie unterschiedlich das Alter von Büchern wahrgenommen wird. Tolkiens Herr der Ringe wurde in der Originalfassung 1954 veröffentlicht, im selben Jahr wie Max Frischs Roman Stiller. Wenn ich ersteres lese, das vor ein paar Jahren überaus erfolgreich verfilmt wurde, werde ich als Leser sicher anders bewertet als bei der Lektüre des letzteren. Manchen Büchern (gerade von namhaften Autoren) haftet durch übermäßigen schulischen Gebrauch, tiefgreifende wissenschaftliche Analysen und weitere kulturelle Verarbeitung (leider) solch eine Staubschicht an, dass sie automatisch für alt gehalten werden, egal, wie alt sie wirklich sind.
Das Traurige daran ist meiner Meinung nach, dass es viel auffallender ist, wenn junge Leute solche „staubigen“ Werke lesen, als wenn sich Ältere neu erschienenen Werken widmen. Von einem etwa gleichaltrigen Bekannten, der ebenfalls sehr viel liest, wurde ich deswegen schon Streber und Freak genannt (natürlich spaßeshalber), weil es eben ungewöhnlich ist.
Wäre das anders, wenn ich jetzt 60 wäre? Sicherlich. Wäre ich dann ein besonders gebildete Frau? Eine von denen, die genauso klischeehaft in Reisebussen zu bedeutenden Orten fährt? Liegt es generell am Klischee, dass Ältere belesen sind? Aber wenn man sich schon im jungen Alter an der Sprache und vielleicht auch den Thematiken der älteren Bücher stößt (die aber gar nicht so verschieden zu heute sind, wenn man mal genau hinschaut), wird sich das doch nicht 30 Jahre später geändert haben. Schließlich waren Goethe & Co. auch vor 30, 40 Jahren keine aktuellen Bestseller mehr.
Ich habe mich auch schon gefragt, ob es anders wäre, wenn ich alte Möbelstücke sammeln würde. Oder Gemälde. Scheinbar haftet “Altem” häufig ein Zug des Außergewöhnlichen an.
Aber ich arbeite auf dieser Seite ja schon daran, auch ältere Werke schmackhaft zu machen. Für Bücher gilt nämlich nicht, dass sie wie Lebensmittel alt und faul werden mit der Zeit. Auch nach vielen Jahren kann man sie noch genießen.