Autorenvorstellung: Heinrich von Kleist (1777-1811)
“Da ging ich, in mich gekehrt, durch das gewölbte Tor, sinnend zurück in die Stadt. Warum, dachte ich, sinkt wohl das Gewölbe nicht ein, da es doch keine Stütze hat? Es steht, antwortete ich, weil alle Steine auf einmal einstürzen wollen – und ich zog aus diesem Gedanken einen unbeschreiblich erquickenden Trost, der mir bis zu dem entscheidenen Augenblicke immer mit der Hoffnung zur Seite stand, dass auch ich mich halten würde, wenn alles mich sinken lässt.”
– Heinrich von Kleist in einem Brief an Wilhelmine von Zenge am 16.11.1800 [1]
Betrachtet man sein Bild unvoreingenommen, glaubt man einen braven Jungen vor sich zu haben. Rundliches Gesicht, kurze Haare, freundliches Lächeln. Ein Fremder vermutet nicht, dass er Heinrich von Kleist vor sich hat, den Soldaten seines Lebens, verkannten Autoren und unglücklichen Heimatlosen.
Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist wird am 18. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder geboren. Er wächst mit vier Schwestern und einem Bruder auf, wobei seine Halbschwester Ulrike ihm zeitlebens die ihm vertrauteste Person bleibt – nicht zuletzt, weil sie ihn mit dem Geld versorgte, das ihm fehlte. Nach dem Tod seines Vaters 1788 kommt er nach Berlin, wo er von einem Pfarrer und Professor unterrichtet wird. Da es in seiner Familie üblich ist, eine Offizierslaufbahn zu verfolgen, tritt er mit 15 in das Postdamer Regiment ein. 1797 steigt er in den Rang eines Lieutnanten auf, verträgt nichtsdestotrotz den militärischen Drill nicht und verlässt das Heer 1799. Welchen Beruf er ergreifen soll, weiß er nicht. Zum Zweck einer Arbeit im Staatsdienst nimmt er in Potsdam ein Studium auf. Nebenbei beschäftigt er sich mit Literatur, Musik und der Philosophie. Seiner Verlobten Wilhelmine von Zenge (1780-1852) übermittelt er brieflich neben seinen Vorstellungen einer Ehe die Theorien Rousseau, dessen Ideen von einem einfachen Leben ihn begeistern und ihn später dazu veranlassen, von einem zurückgezogenen Leben als Bauern zu träumen.
1801 reist er mit seiner Schwester Ulrike nach Dresden, Leipzig, Paris und macht eine Rheinfahrt von Mainz nach Koblenz. Im Winter desselben Jahres reist er allein in die Schweiz. Er trifft dort andere junge Literaturbegeisterte kennen, wie etwa Ludwig Wieland (1777-1819), einen Sohn Christoph Martin Wielands (1733-1813), die ihn zum Schreiben inspirieren. Hier bekommt er die Idee für den Zerbrochnen Krug, weiterhin entsteht sein erstes Stück „Die Familie Schroffenstein“, ein Ritterdrama, das 1803 anonym erscheint. Bis auf eine positive Kritik wird das Drama jedoch eher mit Missgunst betrachtet. Kleist selbst äußert sich sehr negativ über sein Werk.
Auf der Delosea-Insel im Thuner See mietet Kleist ein Haus, löst seine Verlobung und arbeitet an seinem zweiten Drama, dem „Robert Guiscard“, einem normannischen Herrscher des Hochmittelalters. Noch im selben Jahr bringt Ludwig Wieland Kleist zu seinem berühmten Vater in die Nähe von Weimar, der Kleist anregt, seinen Guiscard fertigzustellen. Im Streit mit seinem Freund aus alten Militärzeiten Ernst von Pfuel, verwirft Kleist diesen Plan jedoch. Er verzweifelt so sehr darüber, dass er nach Frankreich reist, mit dem Plan, sich wiederum als Soldat zu melden und in der Schlacht zu sterben. Dazu kommt es allerdings nicht, denn er wird abgewiesen. Auf der Rückreise bricht Kleist im November 1803 in Mainz zusammen und muss vom Arzt Georg Wedekind (1761-1831) gepflegt werden.
1804 kehrt Kleist nach Berlin zurück. Seine Familie plädiert darauf, dass er endlich eine Arbeit im Staatsdienst ergreift. Seine Cousine Marie von Kleist arrangiert eine Ausbildung im Finanzdepartement. Zur weiteren Ausbildung kommt er ins damals preußische Königsberg. woraufhin er nach Königsberg kommt. In dieser Zeit arbeitet er sehr produktiv. Es entstehen u.a. “Amphitryon”, “Der zerbrochne Krug” und “Penthesilea”. konnte er seine Erfahrungen als Kleist hatte nun endgültig den Plan gefasst, sich als freier Schriftsteller zu versuchen und beendet seine Tätigkeit als Beamter, gleichwohl sie ihm einen sicheren Erwerb gebracht hätte. Als er 1807 nach Berlin zurückkommt, hält man ihn für einen Spion und inhaftiert ihn für ein halbes Jahr in einem französischen Gefängnis. Nach seiner Freilassung macht er sich auf den Weg nach Dresden, wo er bis 1809 blieb und seine Werke veröffentlichte.
Mit dem Freund Adam Müller (1779-1819) gibt er 1808 das literarische Heft Phöbus heraus, in dem ihre literarischen Produktionen erscheinen, wobei sie sich Mithilfe von anderen etablierten Schriftstellern erhoffen. Deren Mitarbeit bleibt aus, sodass die beiden einen Großteil der Artikel selbst verfassen müssen. Bereits Ende des Jahres muss das Projekt aufgrund der Ertragslosigkeit eingestellt werden.
1808 wird “Der zerbrochne Krug” als eines von den wenigen Stücken, die in seinem Leben den Weg auf die Bühne schaffen, unter der Leitung von Goethe in Weimar uraufgeführt. Das Stück gerät jedoch zum völligen Misserfolg. Ansonsten hat Goethe, den Kleist seine Stücke zuschickt, nicht viel für ihn übrig. Eine Anekdote besagt, er soll eine Abschrift von Amphitryon, ohne es zu lesen, dem Feuer übergeben haben.
Zunehmend politisiert durch die Kriegszustände in ganz Europa schreibt Kleist an seinem Stück “Herrmannschlacht”, das den Kampf des Germanen Herrmann gegen die Römer behandelt. Auch politische Gedichte entstehen wie “Germania an ihre Kinder”.
Kleist reist Richtung Wien und dann nach Prag, wo er den Plan zu einem Wochenblatt namens “Germania” fasst, das politische Aufsätze enthalten soll. Der Plan bleibt Idee. Von Schulden und fehlendem Interesse an der Herrmannschlacht und dem Stück “Käthchen von Heilbronn” geplagt, kehrt er Anfang 1810 nach Berlin zurück.
In Berlin, das zu dieser Zeit von Krieg verschont bleibt, blüht das kulturelle Leben: Die Humboldt-Universität wird gegründet, namhafte Schriftsteller wie Achim von Arnim und Clemens Brentano halten sich in er Stadt auf und überall gibt es Lesegesellschaften. Dort erscheinen nun seine Erzählungen und das Käthchen, die ihn zunächst einmal aus seiner finanziellen Schieflage retten. Gleichzeitig versucht er es noch einmal mit einer Zeitschrift und gibt die “Berliner Abendblätter” heraus, die sechsmal wöchentlich erscheinen und ungewöhnlichen Erfolg hat, dadurch, dass sie mit Meldungen zu Ereignissen in der Stadt das Interesse des Publikums anheizte. Aber auch sie gehen an Zensur und darauf sinkenden Einnahmen zugrunde.
Nach dem Scheitern der Zeitschrift bleibt Kleist 1811 als finanziell ruinierter und verrufener Mann zurück. Er bemüht sich um neue Posten und erwägt sogar einen Wiedereintritt in die Armee, während all seine Vertrauten sich ihm entziehen und er in einem Streit von seiner Schwester “als ein ganz nichtsnutziges Glied der menschlichen Gesellschaft, das keiner Theilnahme mehr werth sey” [2] bezeichnet wird. Gezeichnet von den ständigen Misserfolgen hat Kleist genug. Er sucht nach jemandem, mit dem er das Leben beenden kann und findet eine Begleitung in der krebskranken Henriette Vogel, die er über seinen Freund Müller kennengelernt hat. Er verbringt den 20. November mit ihr in einem Gasthof in der Nähe des Kleinen Wannsees und schreibt letzte Abschiedsbriefe, ehe er am 21. November 1811 erst sie und dann sich mit einer Pistole am Kleinen Wannsee das Leben nimmt.
Niemand hat mehr den Kampf gegen das Etablissement gewagt wie er. Seine Werke fallen unter den gängigen Stücken der Zeit auf, beherbergen eine die Grenzen der Zeit überragende Modernität, die am Zeitgeist jedoch scheiterten.
Obwohl Kleist nur 34 Jahre lebte, weist er eine beeindruckende Zahl an Werken auf, die vor allem Dramen und Erzählungen umfassten. Seine lyrischen Versuche nehmen dagegen eine eher kleine Rolle ein. Wohl war ihm die kurze, direkte Art eines Gedicht zu eng, zu bündig, um seine gewaltige Sprache und das gewaltige Gefühl, das in ihm wohnte, auszudrücken.
Kleist ist bekannt für das Ach!, seine Figuren, die in Ohnmacht fallen, wenn sie nicht mehr weiterwissen und vor allem eine Radikalität, seine Ausschweifung, die sich wie ein roter Faden durch sein Œuvre zieht. Michael Kohlhaas zündet Städte an, das Käthchen wird wie ein Hund behandelt, und in der Erzählung „Das Erdbeben in Chili“ kommt es zum Massenmorden vor einer Kirche. Kleists in der Antike angesiedelte Stücke “Amphitryon”, in der sich Götter zu einem Maskenspiel hinreißen lassen sowie “Penthesilea”, in der die gleichnamige Hauptfigur aus Hass und Rache ihren Geliebten Achill verspeist, zeigen, dass die Antike nicht nur aus Harmonie und Toleranz bestand, sondern aus Krieg, Lust und Intrigen, was die damalige Gesellschaft, die beeinflusst war durch das humanistische Weltbild, geschaffen durch Aufklärung und Klassik, nicht akzeptieren konnte. Dementsprechend quittierten die Leser Kleists Werke mit Häme und Ignoranz. Von Penthesilea, die 1808 erschien, waren selbst 1885 noch nicht alle 750 Exemplare der Erstausgabe vergriffen. [3]
Kleist wurde 1777 geboren und hätte rein vom Alter gesehen zu den Romantikern gehört. Zwar weist beispielsweise das Käthchen mit seiner Märchenhaftigkeit und der Ansiedlung im Mittelalter romantische Motive auf, ein Romantiker war er aber ebenso wenig wie ein Angehöriger der Klassik. Er hat sein eigenes, der Zeit ungemäßes Gesamtwerk geschaffen, das keiner Epoche zugeordnet werden kann.
Zu seiner Zeit war er ein belächelter Schriftsteller. Dies änderte sich jedoch im Laufe der Jahre. Schriftsteller wie Alfred Döblin oder Franz Kafka bekannten sich offen als Verehrer seiner Werke. Auch der Nationalismus im Kaiserreich und später er Nationalsozialismus versuchten Kleists Werke für sich zu vereinnahmen.
Dass heutzutage das Interesse an seiner Person fortbesteht, zeigt die vielfache literarische Verarbeitung, die er erfahren hat und hier exemplarisches dargestellt werden soll. Stefan Zweig hat in seinem Buch „Der Kampf mit dem Dämon“ Kleist in eine Reihe mit Hölderlin und Nietzsche gestellt und seinen Lebensweg nachgezeichnet. Christa Wolff lässt in ihrem Montageroman „Kein Ort. Nirgends“ von 1979 Kleist auf die Dichterin Karoline von Günderrode treffen, die ein ähnliches Schicksal teilen. Robert Löhr hat in seinem historischen Roman „Das Erlkönig-Manöver“ neben anderen Dichtern seiner Zeit Kleists Art persifliert.
Quellen:
1. Amann, Wilhelm: Heinrich von Kleist. Suhrkamp Basisbiographie, Berlin 2011.
2. Hilzinger, Sonja (Hrsg): Christa Wolf, Kein Ort. Nirgends (Suhrkamp Basisbibliothek), Frankfurt am Main 2006 (S. 137-141).
Einzelnachweise:
– [1] zitiert nach Schmitt, Axel (Hrsg): Heinrich von Kleist, Penthesilea (Suhrkamp Basisbibliothek), Suhrkamp: Frankfurt/M. 2007 (S. 213).
– [2] zitiert nach: Amann, 2011 (S. 58).
– [3] zitiert nach Schmitt, 2007 (S. 141).