Einsame Nacht
Viel zu laut für diese einsame Nacht rauschen die Autos über die regennassen Straßen an mir vorbei. Rote und weiße Lichter vermischen sich in langen Streifen mit der dunklen Straße und lassen den abgenutzten Asphalt so aussehen, als brodelte Lava darunter – still und unscheinbar. Eine seltsame Verbundenheit zu dieser Lava ergreift mich. Zum Glück sind da noch zehn Straßen, deren verborgene Hitze mich schützen könnte.
Diesmal hat es auch mich erwischt. Auserkoren bin ich zu einem reinen Desaster. Sie kamen auf mich zu. Euphorisch grinsend. Ihre Hände hielten schon fast, was sie heute Abend halten würde. Und dann verkündeten sie ihre Worte. Unüberhörbar. Sie duldeten kein Entkommen. Sie luden mich zu einer Party ein. Warum?
Die letzten drei Straßen liegen vor mir. Durch die Nase einatmen. Durch den Mund ausatmen. Durch die Nase einatmen. Durch den Mund ausatmen. Doch ich war völlig am Ende. Keinen Schritt mehr werde ich tun können. Es ist einfach zu weit. Tausend Meter sind eindeutig zu viel für mich.
Er sah mich an. Seine blauen Augen klirrten, als das Eis zerbrach. Warm flossen seine Gefühle in mein Ohr. Nein, nein, nein, das will ich nicht hören.
Auditiv beginnt die Party schon hier. In der Ferne hört man leise den Beat der Musik. Rhythmisch geben meine Schritte dem Widerstand nach. Nichts kann ich dagegen tun. Bin wehrlos. So still und unscheinbar.
Es hat sich rumgesprochen. Das mit ihm und mir. Sie wollten uns zusammen sehen. Ergötzten sich an unseren Gefühlen. Sie haben ja auch nichts Besseres zu tun. Das muss der Grund gewesen sein. Anders kann ich mir das nicht erklären.
Das Haus tritt als verwaschenes Schemen hervor. Der Heiligenschein ist bei den spiegelnden Straßen nicht zu übersehen.
Seine Ausstrahlung war eklatant. Vollkommen ruhig stand er da, während der Bus ratternd den Kampf mit den abschüssigen Straßen aufnahm. Plötzlich sah er mich an. Schien durch meine Augen hindurch direkt in meine Seele zu schauen.
Der Rasen ist nass und durchtränkt meine Chucks. Was mache ich überhaupt hier? Überall stehen sie. Rauchen voller Wollust ihre Zigaretten. Strecken ihre unschuldigen Hände ekstatisch den Bierflaschen entgegen. Sie haben ja auch nichts Besseres zu tun. Klein und unscheinbar steh ich daneben. Passe in dieses Bild wie ein prachtvoller Baum umgeben von Hunderten von hässlichen Steinen. Oder vielmehr wie ein hässlicher Stein umgeben von Hunderten von prachtvollen Bäumen aus ihrer Sicht.
Wir redeten. Es tat so gut mit einem Gleichgesinnten zu reden. Eigentlich konnte ich ihnen keinen Vorwurf machen. Sie hatten einfach noch nicht genug Erfahrungen gemacht. Aber musste man es deswegen so übertreiben?
Ich sehe ihn in der hintersten Ecke des Raumes. Erstarrt wie ein Chamäleon schützt er sich dort vor seinen Feinden. Berührt von unschuldigen Händen und angestarrt von Engeln, die alle die gleiche olfaktorische Aura besitzen, schlage ich mich durch den Dschungel. Dann stehe ich vor ihm.
Es sieht mich an. Seine blauen Augen klirren, als das Eis zerbricht. Warm fließen seine Gedanken in mein Ohr. Ja, ja, ja, rede weiter!
„Viel zu laut für diese einsame Nacht“, spricht er meine Gedanken aus. „Lass und gehen.“
Schweigend laufen wir über den Feldweg. Genauso schön wie eine einsame Nacht.