Epochenüberblick 6: Romantik (1795-1845) – Märchenhafte Naturverbundenheit
“Es war als hätt´ der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer,
Von ihm nun träumen müsst.Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogen sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.”
– Mondnacht (1837), Joseph von Eichendorff
Als “Romantik” oder “romantisch” bringen Nicht-Literaturliebhaber heutzutage wohl eher einen gefühlvollen Augenblick oder eine einfühlsame Tat in Verbindung, als eine der vielfältigsten Epochen, die nicht nur die Literatur, sondern gleichsam Musik und Kunst beeinflusste. Die Literaturepoche besteht allerdings nicht nur aus Liebe und Natur, wie man gemeinhin denken mag, sondern hat in ihren Jahren ein breites Potpourri an Werken und Autoren hervorgebracht.
Entstanden ist die Romantik einerseits als Antwort auf die Aufklärung. Die Romantiker kritisieren, dass durch die Aufklärung die Welt zu rationell geworden und damit zu langweilig, berechenbar und gewöhnlich geworden ist. Das Ziel lautet also: dem Alltag genügend Faszination zurückgeben. Der Schlüssel dazu ist die Poesie. In einem sehr bekannten Zitat gibt der Schriftsteller Novalis wieder, was eigentlich das Anliegen der Romantiker war: Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.
Erlaubt ist also alles, was Staunen erzeugt, geheimnisvoll erscheint und Bewunderung hervorruft. Dem Erkenntnis bringenden Licht der Aufklärung setzen die Romantiker die Dämmerung und das Mysteriös und Schaurige der Nacht entgegen. Wilde Parks werden der als langweilig und starren empfundenen Ordnung der französischen Gärten vorgezogen. Die eigenständige, schöpferische Einbildungskraft der Innenwelt steht im Vordergrund. Damit steht die Romantik dem Sturm und Drang nicht fern und tatsächlich lassen sich einige Parallelen ziehen. Beiden Epochen war es ein Anliegen, mit Gefühl und Natur gegen den übermäßig vorherrschenden Rationalismus und Materialismus anzugehen. Während der Sturm und Drang jedoch den Weg nach außen suchte, wählte die Romantik die Flucht aus der Welt ins Innere.
Die Natur wurde zu dem bevorzugten Aufenthaltsort, weshalb die Sehnsucht nach ihr ein häufiges Motiv in der Romantik ist. Auch der Gegensatz Stadt versus Natur wird thematisiert. Es bildet sich aber auch eine weitere Strömung heraus: die Schwarze Romantik oder auch Schauerromantik. Hier finden Motive wie Albträume, Tod, Todessehnsucht, Melancholie, Wahnsinn, Krankheit, Fabelwesen, Magie und viele mehr ihren Ausdruck.
Trotzdem fehlten Ironie und Kritik nie in dieser Zeit. Viele Werke kritisieren Missstände und zeigen Probleme auf oder machen – wie das Eingangsgedicht – unterschwellig auf das Irreale ihrer Darstellungen aufmerksam.
E.T.A. Hoffmanns Märchen „Der goldene Topf“, in dem der Erzähler mehrmals die Distanz zum Leser bricht und am Ende selbst Teil des Geschehens wird, zeigt, dass auch ein ganzes Buch sich selbst nicht ganz ernst nehmen kann. Heinrich Heines oft so herzzerreißende Gedichte warten nicht selten mit einer plötzlichen ironischen Wendung auf.
Allgemein waren Märchen eine beliebte Darstellungsform dieser Zeit, die die klassischen Dramen mit ihren strengen Versen zugunsten der Prosa wieder verdrängten. Die Form der Romantik schlechthin war jedoch das Gedicht, das vielseitig eingesetzt werden konnte. Mal hatte es eher einen Volksliedcharakter, mal war es subtil und pointiert, mal direkt und ansprechend.
Gleichzeitig verdanken wir der Romantik zahlreiche Sagen, Mythen und Geschichten, die entweder selbst geschaffen wurden (Lorelei), oder die durch deren Beschäftigung erst populär wurden (Nibelungenlied).
Ein anderes Gegenstück der Romantik war die bereits angesprochene Klassik, die sich etwa zur gleichen Zeit entwickelten. Zwischen beiden Epochen kam es häufig zu Spannungen, bedingt durch die sehr unterschiedlichen Haltungen. Als Beispiel seien hier die zwei prägendsten Ereignisse dieser Zeit genannt, die Französische Revolution sowie Napoleons Eroberungsfeldzug durch Europa. Während die Klassiker zur Harmonie und zur Gewaltfreiheit aufriefen, hielten die Romantiker diese Idee für unnütz bzw. sahen, dass sie nicht umsetzbar waren. Desillusioniert von dem Wandel ihrer Zeit flüchteten sich lieber zurück ins katholische Mittelalter, das sie grenzenlos idealisierten, poetisierten, und zu einem märchenhaften Raum ausarbeiteten.
Von der Klassik wurden sie dafür hart kritisiert und später festigte sich das Klischee der frommen “Zurückgebliebenen”. Die klassischen Ideale hielten die Romantiker wiederum für starr und kalt, genauso die bloße Nachahmung der Natur. Trotzdem kam es manchmal auch zu vorübergehenden Annäherungen, nicht zuletzt, da die Zentren beider Lager zunächst in Jena lagen. Goethe beispielsweise lobte die Volksliedsammlung “Des Knaben Wunderhorn” und beriet die Romantiker in so manchen Angelegenheiten. Gern gesehen waren diese Annäherungen jedoch nicht und hauptsächlich blieb es bei der überwiegenden Abneigung.
Der erste Abschnitt, der sich innerhalb der Romantik ziehen lässt, wird Frühromantik genannt und dauerte von 1795 bis 1800, manchmal auch bis um 1803 an. Diese Zeit lässt Erinnerung an den Sturm und Drang wach werden: Junge Schriftstellertalente sammelten sich in Jena, trafen sich, redeten über literarische Werke und verbrachten die Zeit miteinander. Novalis und Ludwig Tieck gehörten dazu, ebenso Schelling, Hegel, Fichte, die Schlegel-Brüder, die mit ihrer Zeitschrift “Athenäum” das Sprachrohr dieser Zeit wurden, und auch Hölderlin, der eigentlich nicht direkt zur Epoche gehört, kam manchmal vorbei. Sie veröffentlichten einige Werke, allerdings zerbrach die Einheit bereits 1799 an einer Affäre zwischen August Wilhelm Schlegels Ehefrau und Schelling. Bald schon kehrten die jungen Talente auf den Boden zurück und suchten sich etwas Festes. Schlegel etwa wandte sich dem Glauben zu und Hegel, Fichte und Schelling wurden zu den bedeutenden Philosophen, die man später unter dem Begriff “Deutscher Idealismus” zusammenfasst.
Einer der bekanntesten Vertreter der Frühromantik war der bereits erwähnte Novalis (1772-1801), der sich anschickte, mit seinem Roman “Heinrich von Ofterdingen”, der ein riesiger Romanzyklus werden sollte, Goethes “Wilhelm Meisters Lehrjahre” (1795) zu übertreffen und dessen dort propagierte Kunstdistanzierung zu widerlegen. Das Sehnsuchtssymbol der im Buch auftauchenden blauen Blume wird später zum Symbol der ganzen Romantik. Novalis selbst verbindet in seinen Werken christliche, philosophische und märchenhafte Elemente. Bereits 1801 stirbt der durch den frühen Tod seiner Verlobten tief getroffene Neunundzwanzigjährige. Mit dem Kraft des Willens wollte er ihr bereits vorher nachsterben, denn der Tod war für ihn kein Ende, sondern eine Verwandlung. Nun starb er an einer Krankheit, die er sich vermutlich am Krankenbett Schillers zugezogen hatte. Trotz dessen Abneigung für die Romantik hatte Novalis ihn verehrt und bei dessen erster großen Krankheit 1791 Nachtwache bei ihm gehalten.
Ein guter Freund Novalis´ war Ludwig Tieck (1773-1753), der bereits als Kind viel belesen und intelligent war. Er schrieb Novellen und Märchen und übersetzte später mit August Wilhelm Schlegel (1767-1845) Shakespeare übersetzte. Dessen Bruder Friedrich Schlegel (1772-1829) war ein zeitgenössischer Theoretiker der Romantik. Beide galten als sehr launige und streitlustige Zeitgenossen.
Die gesellige Gruppe der Frühromantiker hatte sich aufgelöst, doch die Ideale blieben vorhanden, als sich in Heidelberg der zweite Abschnitt dieser Zeit entwickelte, der etwa bis 1815 andauerte. Als Hauptvertreter dieses Abschnittes gelten Clemens Brentano (1778-1842) und Achim von Arnim (1781-1831), die eine große Bandbreite an Gedichte, Märchen, Erzählungen und Dramen schrieben und sammelten. Eine breite Palette an Schriftstellern zählt zu dieser Zeit: Arnims Frau Bettina von Arnim (1785-1859), die Gebrüder Grimm (1785-1863) und (1786-1859), der französischstämmige Adelbert von Chamisso (1781-1838), Ludwig Uhland (1787-1862), Wilhelm Müller (1794-1827) und Gustav Schwab (1792-1850) sind nur einige davon.
Den letzten Teil der Epoche markiert die Spätromantik, die bis in die 1820er reichte. In dieser Epoche kommen E.T.A. Hoffmann (1776-1822) und Joseph von Eichendorff (1788-1857) hinzu.
Eichendorff, zwischen Heidelberger Romantik und Spätromantik stehend, ein frommer Katholik und für kurze Zeit Mitglied des Lützowschen Freikorps während der Befreiungskriege, machte sich einen Namen als Naturlyriker, schrieb über Sehnsucht, Aufbruch und verfasste mehrere volksliedhafte Novellen wie “Aus dem Leben eines Taugenichts” (1826), mit der er bekannt wurde.
Hoffmann ist zu Lebzeiten kaum ein angesehener Schriftsteller. Er versucht sich auf verschiedenen Gebieten wie der Musik, Jura und Biologie und ist als Trinker und Liebhaber bekannt. Am Tag arbeitet er als Jurist, während er in der Nacht als “Gespenster-Hoffmann” sein Unwesen treibt. Besonders ihm hat die Romantik ihre Schauerromantik zu verdanken, denn Hoffmann verstand sich darin, die dunkle Seite des Menschen aufzuzeigen. Auch seine in die Realität eingebetteten Märchen, die im Gegensatz zu den klar abgegrenzten Märchen anderer Zeitgenossen standen, gingen in die Geschichte sein, während sein Name nach seinem Tod schnell verblasste und erst im Expressionismus wieder auflebte.
Oft wird auch Heinrich von Kleist (1777-1811) den Romantikern zugerechnet, obwohl sein Werk vergleichsweise eine eigenständige Position zwischen Klassik und Romantik einnimmt. Obwohl Kleist nur 34 Jahre lebte, weist er eine beeindruckende Zahl an Werken auf, die jedoch nicht immer angenommen wurden, weil Werke wie Amphitryon und Penthesilea, die nicht auch die negativen Seiten der Antike beleuchten, nicht vereinbar mit dem humanistischen Bild der Antike um 1800 waren. Bekannt ist Kleists zwiespältiges Verhältnis zu Goethe, der beispielsweise Kleist Komödie “Der zerbrochne Krug” in einer eigenen Bearbeitung aufführte, wofür das Stück und der Autor mit Häme bedeckt wurden und ein Exemplar des Amphitryon vernichtet haben soll. Kleist selbst war ein eigenwilliger Mensch, der in seinen Werken gerne radikal alle Arten von Emotionen auslebt.
Ein weiterer sehr bekannter Schriftsteller dieser Zeit, oft auch als Überwinder der Romantik betitelt, war Heinrich Heine (1797-1856). Einerseits verfasste er romantische Werke und verstand sich auch als Romantiker und verfasste in diesem Stil viele sehr rührende Gedichte. Andererseits war er auch für seine Ironie und den Humor bekannt, mit der er Kritik an der politischen Unterdrückung in Deutschland übte und bereits die nächste Epoche einleitete.
Die eigentliche Literaturepoche mag mit ihm geendet haben, da das rückwärtsgewandte Denken der Romantik von der aufkommenden Industrialisierung und den politischen Ereignissen des Vormärz überrollt wurde und zudem die “großen” Repräsentanten tot waren oder sich zu anderen Dingen abgewandt hatten, aber das Romantische lebte weiter und hat sich bis heute als Begriff gehalten, wenngleich er auch nicht das volle Ausmaß der Zeit umfasst. Nicht zuletzt kam sogar zu einer Wiederauferstehung dieser Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts als „Neuromantik“.