Das Inkulturationsseminar
Jetzt ist es schon wieder Sonntag. Was heißt schon wieder? Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass wir hier sind. Aber morgen geht es schon los in die Einsatzstellen. Mindestens zwölf Stunden Busfahrt liegen vor mir, wenn es gut läuft.
Am Donnerstag nach der Anreise mussten wir um 8:30 Uhr zum Frühstück erscheinen. Es gab ungetoasteten Toast, eine Marmelade, die nach flüssigen Gummibärchen schmeckt, Erdnussbutter, Butter und Ei. Täglich versuche ich, den Artemisia-Tee gegen Malaria runterzubekommen, aber er ist echt eklig und bitter, sodass ich meistens nur knapp über die Hälfte der Tasse schaffe. Ob ich mich jemals daran gewöhnen werde?
Den Tag über redeten wir über unsere Stärken und Schwächen, am Abend stellten sich die Mentoren vor und wir führten wieder den Tanz/Gesang auf, den wir auf dem Vorbereitungsseminar für die Eltern gelernt hatten.
Am Freitag hatten wir vormittags Zeit, unsere Mentoren besser kennenzulernen. Wir setzten uns oben auf die Dachterrasse von einem der Häuser auf dem Gelände und redeten über unser Leben, unsere Familie, die Einsatzstellen und den Glauben. Währenddessen hing neben uns eine handtellergroße Spinne. Das war eine eher erschreckende Erfahrung (also die Spinne).
Nachmittags gingen wir mit unseren Mentoren in die Stadt. Unsere Gruppe (alle, die in die Region Mbeya kommen) besteht aus sieben Leuten. Mit einem Daladala (kleiner Bus) sind wir bis nach Morogoro ins Zentrum gefahren. Als wir einstiegen, war der Bus schon so voll, dass ich auf Kathis Schoß sitzen musste. Aber ein Daladala ist niemals voll. Munter stiegen immer mehr Leute ein, setzten sich übereinander und zwängten sich im Gang herum. So waren am Ende in einem Bus, in dem es 15 Sitzplätze gab, 36 Menschen. Als wir in der Stadt ankamen, wurde uns immer „Mzungu!“ („Weiße(r)!“) hinterher gerufen, Leute fragten „Mambo?“ („Wie geht’s?“) und waren überrascht, dass wir mit „Poa“ (umgangssprachlich, „gut/cool“) antworteten, fassten uns an und machten uns Heiratsanträge. Es war schon ein bisschen beunruhigend.
Danach liefen wir in einen Kiosk, um uns SIM-Karten zu holen. Der Mensch war leider relativ inkompetent und hat nicht ganz verstanden, was wir wollten. Wir waren im Endeffekt sage und schreibe zwei Stunden in dem Laden, um für sieben Leute SIM-Karten zu holen. Da ich zusammen mit vier oder fünf weiteren kein Smartphone habe, haben jetzt alle anderen Internet. Aber ich denke, es ist ganz gut so, dass ich kein Internet und Whatsapp habe. Schließlich will ich ganz hier sein und nicht halb in Deutschland. Ich will hier erst einmal alles auf mich wirken lassen, bevor ich mit irgendwem aus Deutschland in Kontakt trete.
Am Abend haben Leila, Kathi, Fabi und ich noch Wizard gespielt. Leider sind wir nicht mehr vor dem Essen fertig geworden, weshalb wir die Karten in die Spielpackung räumten. Nach dem Essen wollten wir weiter spielen, doch als wir die Karten wieder auspackten, fehlten plötzlich 20 Karten. Bis heute haben wir sie nicht wiedergefunden. Sie sind auf unerklärliche Weise verschwunden und waren nicht mehr aufzufinden. Ob der kleine Affe, den wir auf einer Palmen haben rumturnen sehen sie geklaut hat?
Samstag waren wir in einer Kitenge-Fabrik. Es war interessant, aber vor allem sehr laut und staubig. Wir haben gesehen, wie die Stoffe desinged, hergestellt und bedruckt wurden. Allerdings hat die Führung so lange gedauert, dass viele am Ende keine Lust mehr hatten. Zum Schluss sind wir noch zum Laden der Kitengefabrik gegangen, allerdings wollte der Mann den Laden nicht ganz aufmachen, sodass man durch ein Gitter in den unbeleuchteten Laden sehen musste und durch das Gitter kaufen musste. Das war mir zu doof, deshalb beschloss ich, mir erst in Tukuyu auf einem Markt eine Kitenge zu kaufen.
Nach der Fabrik sind wir zum Pool eines Hotels gefahren, haben dort gegessen und die meisten sind schwimmen gegangen. Ich habe es aber natürlich geschafft, im heißen Tansania eine Erkältung zu bekommen! Jedes Mal, wenn ich nach England und wieder zurück geflogen bin, habe ich eine Erkältung bekommen, das ist doch echt verrückt! Ist das meine Art von Kulturschock?
Am Sonntag packten wir schließlich unsere Sachen und tauschten noch Filme, Musik und Hörbücher aus.
Alles in allem war es eine schöne Zeit, aber schon jetzt eine krasse Erfahrung. Sich mit Regenwasser, in dem noch Blätterstückchen schwimmen, die Haare zu waschen. Danach fühlen sie sich immer so klebrig an. An einem Abend hatten wir allerdings doch einmal fließendes Wasser, sodass wir die Gunst der Stunde nutzen konnten, um uns noch einmal richtig die Haare zu waschen.
Das Essen ist ziemlich lecker hier! Es gibt zwar jeden Tag ungefähr das gleiche, aber es wird trotzdem nicht langweilig. Außerdem gibt es immer so viel unterschiedliches, dass man gar nicht immer das gleiche essen müsste: es gibt Kochbananen, Reis, bitteren Spinat, dicke Erbsen oder so etwas, Bohnen, Nudeln, selbstgemachte Pommes und Fleisch oder Fisch, zum Nachtisch Wassermelonen oder Orangen. Das abgekochte Wasser schmeckt allerdings nicht so gut.
Die Landschaft hier ist echt wunderschön! Überall stehen Palmen, Bananenstauden, Affenbrotbäume und Mangobäume. Vor uns liegt direkt das Morogoro-Gebirge, das hoch aufragt und dicht bewaldet ist. Allerdings ist fragwürdig, wie viel von dem Wald noch übrig ist, da er schon seit drei Tagen durchgehend brennt und sich immer weiter unten frisst. Uns tut es echt in der Seele weh, ansehen zu müssen, wie der schöne Wals abbrennt und so viele Tiere ihren Lebensraum verlieren und niemand kümmert sich darum bzw. die Ressourcen fehlen.
Jetzt bin ich aber auch froh, endlich morgen in meine Einsatzstelle zu kommen. Ich bin schon sehr gespannt, will endlich meine Sachen auspacken und sehen, wo ich die nächsten zehn Monate zu Hause sein werde. Mit jedem Tag, den ich hier bin, wächst meine Euphorie mehr. Wenn ich die schöne Landschaft sehe, wenn wir mit den Tansaniern singen (und sie haben echt tolle Stimmen!) oder wir einfach mal auf dem Boden eine Kokosnuss finden, sie mit viel Mühe aufkriegen und dann rumreichen, damit jeder einen Schluck von der frischen Kokosmilch bekommt, hat man das Gefühl, dass man hier richtig ist.
Vorerst steht aber eine lange Busreise bevor…