“Jane Eyre” – Buch und Bühnenadaption im Vergleich
Im Dezember 2016 bekam ich dank einer Übung in Theaterwissenschaft die Gelegenheit, im Wiesbadener Theater einer Aufführung von “Jane Eyre” beizuwohnen (hier geht es zur Seite der Inszenierung). Die Vorlage für die Inszenierung bildet der gleichnamige und bereits häufig verfilmte Roman von Charlotte Brontë aus dem Jahr 1847. Das Buch “Jane Eyre” kann ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht, hatte es demzufolge auch noch nicht gelesen. Dies holte ich ein paar Monate später nach und kann nun für alle, die generell wenig Erfahrung mit Theater haben oder die den Unterschied zwischen Buch und Bühnenadaption interessiert, einen kleinen Vergleich anstellen und meine Eindrücke schildern.
Über Adaptionen
Dass Dramen auch heute noch adaptiert werden, ist gängige Praxis. Auch solche, die man einst für unaufführbar hielt (wie etwa den “Faust”), stehen immer wieder auf den Spielplänen der Theater. Dazu haben sich unlängst auch die Adaptionen von Romanen gesellt, was auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen mag, schließlich handelt es sich dabei um Erzählungen, in die die Dialoge eingeflochten sind. Möchte man einen Roman also auf die Bühne bringen, müssen die wichtigsten Dialoge und Szenen aus ihrem Erzählkorsett befreit, womöglich bearbeitet und so dargestellt werden, dass man sie auch ohne Kenntnis des Buchs immer noch versteht.
Der Roman “Jane Eyre” erzählt die Geschichte der Waisin Jane, die ihre ersten Lebensjahre bei der Familie ihrer Tante verbringt, die sie terrorisiert und misshandelt, bis sie in ein Waisenhaus kommt, in dem sie sich bis zur Schulleitung hocharbeiten kann. Eines Tages sehnt sie sich nach einer neuen Beschäftigung und bekommt den Posten einer Erzieherin auf dem Landsitz des Adligen Rochester. Trotz der unterschiedlichen Positionen finden Jane und Rochester schnell Gefallen aneinander. Rochester möchte Jane heiraten, scheitert aber in letzter Sekunde an einem seiner dunklen Geheimnisse. Jane flieht von seinem Landsitz und findet krank und hungrig Aufnahme bei Fremden, die sich später als ihre Verwandten herausstellen. Durch ein Erbe kommt sie überraschend zu Geld und kehrt letztendlich zu dem inzwischen erblindeten Rochester zurück, nachdem sie einen Antrag ihres Cousins ausgeschlagen hat.
Der Roman ist sehr viel ausgedehnter als das, was ich in der Adaption sah, was natürlich keine Überraschung darstellt. Es vergehen allein 150 dünne, klein bedruckte Seiten in meiner Ausgabe von “Jane Eyre”, bis der Name Rochester überhaupt mal gefallen ist. “Jane Eyre” wird im Untertitel eine Autobiografie genannt, und obwohl Rochester eine sehr große Rolle im Leben der Hauptfigur spielt, werden auch andere Ereignisse wie ihre Kindheit im Waisenhaus geschildert.
Wie bringt man nun diese Geschichte auf die Bühne?
Die Adaption der Regisseurin Beka Savic, die ich im Dezember 2016 sah, ist ein Zwei-Personen-Stück, das sich im Wesentlichen auf die Figuren Jane und Rochester konzentriert, gleichwohl die Schauspieler durch Kostümwechsel auch andere Figuren andeuten. Trotzdem empfand ich diesen Schritt als nachvollziehbar, da sich auch der Roman im Wesentlichen auf jene Figuren fokussiert. Handlung und Setting waren (logischerweise) sehr reduziert; so bestand das Bühnenbild nur aus einer Art Gerüst, das je nach Szene als Treppe, Raumtrenner o. Ä. diente. All das, was nicht direkt dargestellt werden konnte, beispielsweise lange Zeitsprünge, wurde von der Figur Jane erzählt – damit hatte man auch der „Autobiografie“ in gewisser Weise genüge getan. Interessanterweise wurde der Adaption nichts hinzugefügt, teilweise konnte ich Dialoge später genau so im Buch wiederfinden. Trotz dieser Schlichtheit hatte ich, ohne es zu erwarten, sehr viel Spaß an diesem Abend.
Das Buch im Blick
Wenn man sich ein wenig in der Materie auskennt, kommt einem womöglich der Vergleich mit anderen Autorinnen und Werken dieser Zeit, die auf den Landsitzen adliger Familien irgendwo im Grün Englands spielen.
Ich persönlich fand die Figur Rochester im Buch beispielsweise nicht so gelungen wie Darcy aus Jane Austens “Stolz und Vorurteil” und die Chemie zwischen ihm und Jane Eyre auch nicht so gelungen wie zwischen Darcy und Jane (so viele Janes!). Mal davon abgesehen, dass ich wusste, wie das Buch ausgeht, war viel zu schnell offensichtlich, welche Gefühle Rochester für Jane hegt. Generell sind Rochester eine merkwürdige, exaltierte Sprechweise und die Rededuelle zwischen den beiden waren meistens eher langatmig, als dass sich ein Knistern aufbauen konnte. Jane hingegen ist wie viele der weiblichen Romanfiguren dieses Genres eine von Vernunft geprägte Person und bestrebt, ihre Meinung offen kundzutun. Zumal mir der Zufall, dass Jane irgendwo im Nirgendwo, 100 Meilen von Rochesters Haus entfernt, fast verhungernd genau an das Haus klopft, in dem, wie sich später herausstellt, Verwandte von ihr wohnen, doch als zu großes Handlungselement heraussticht.
Auch mit dem wohl bekanntesten Roman dieser Zeit, „Sturmhöhe“ von Charlotte Brontës Schwester Emily, kann “Jane Eyre” meines Erachtens in Bezug auf Inhalt und Aufbau leider nicht mithalten. Trotz allem hat mir das Lesen Vergnügen bereitet; auch da ich wusste, dass es zu einem Happy End kommen würde.
Eine Bühnenadaption hat natürlich aufgrund der Plurimedialität und der Live-Situation eine ganz andere Wirkung als das reine Lesen – und lässt sich leider auch viel schwerer beschreiben. Meiner Meinung nach haben beide Darsteller die Figuren sehr gut getroffen. Auch von einem zweimaligen Handyklingeln und der entstehenden Unruhe im Publikum haben sie sich nicht ablenken lassen. Zwar war mir trotz des Kostümwechsels nicht immer sofort erkenntlich, welche Figur nun sprach, aber natürlich muss man sich auch erst einmal auf die Situation eines Zwei-Personen-Stücks einlassen.
Jane Eyre war die erste Romanadaption, die ich gesehen habe. Natürlich ist jede Adaption anders, daher will ich an dieser Stelle auch gar keine Verallgemeinerung anstellen. Ich fand es spannend, die Unterschiede beim Lesen festzustellen, aber auch die vielen Gemeinsamkeiten zu entdecken und bin gespannt, wie es bei der nächsten Romanadaption sein wird.