Kleine mittelhochdeutsche Reihe: 4. Verbkonjugation

In den letzten Artikeln haben wir uns mit den lautlichen Grundlagen der mittelhochdeutschen Sprache beschäftigt. Wir wollen nun weiter zur Grammatik wandern und widmen uns heute einer zentralen Wortart, den Verben.

Infinitive

Grundsätzlich sehen Verben im Mittelhochdeutschen genauso aus wie heute. Sie bestehen aus einem Verbstamm, der die Bedeutung des Verbs in sich trägt, sowie einer spezifischen Endungen. Im Infinitiv ist dies die auch heute noch bekannte Endung -en. Manche mhd. Verben sehen daher im Neuhochdeutschen noch genauso wie damals aus:

mhd. lachen – nhd. lachen
mhd. sagen – nhd. sagen
mhd. reden – nhd. reden

Im Althochdeutschen war dies noch etwas komplizierter. Es gab neben der -en Endung auch -ôn und -(j)an!

Unterteilung in starke und schwache Verben

Zum Verständnis des Mittelhochdeutschen sind drei Kategorien wichtig, in die Verben eingeordnet werden können. Diese Kategorien sind: schwache Verben, starke Verben und Sonderverben. Generell gibt es viele Kategorisierungsmöglichkeiten von Verben, die genannten sind für die korrekte Verbkonjugation (= die Formenbildung nach den Merkmalen Person, Numerus, Tempus, Genus verbi, Modus) jedoch essentiell.

Das Prinzip der Einteilung in schwache Verben, starke Verben und Sonderverben gilt auch heute noch, wobei es bei manchen mhd. Verben Verschiebungen in der Konjugation gab (viele mhd. starke Verben sind heute schwach und Sonderverben in eine der beiden Kategorien aufgegangen).
Es gilt übrigens nicht nur fürs Deutsche:

engl. laugh – laughed – laughed (schwach) vs. go – went – gone (stark)
(to) be – I am – was/were – has been (Sonderverb)

Schwache Verben

Die Formen schwacher Verben sind relativ einfach zu bilden, da sie regelmäßig konjugiert werden. Dies bedeutet, dass alle Flexionsmerkmale (Person, Tempus etc.) an den Verbstamm angehängt werden.

Beispiel: leben – ich lebe – ich lebete – wir lebeten – gelebt

Ein wichtiges Merkmal und Erkennungszeichen schwacher Verben ist, dass sie ihr Präteritum mit Dentalsuffix (-t, manchmal auch -d) und ihr Parti­zip dementsprechend mit ge … t bilden.

Starke Verben

Starke Verben sind unregelmäßig. An sich funktioniert ihre Konjugation genauso wie bei schwa­chen Verben; die Besonderheit starker Verben besteht allerdings darin, dass ihre Formen mit dem sogenannten Ablaut (= Änderung des Stammvokals innerhalb etymologisch verwandter Wörter oder Wortteile) gebildet werden, weshalb man nicht ohne Weiteres durch das Anhängen der jeweiligen Flexions­merkmale die korrekte Wortform erhält. Wie genau ein starkes Verb konjugiert wird, lässt sich an­hand der Ab­lautreihen erschließen. Uns ist der Begriff Ablaut heutzutage kein Begriff mehr. Dies liegt daran, dass aus diesem System, das (ohne Ausnahmen) 10 Möglichkeiten der Bildung von starken Verben bot, inzwischen über 40 geworden sind. Da diese teilweise nur auf einzelne starke Verben zutreffen, lernen wir die Verbformen wie im Englischen direkt mit dem Wort mit.

Beispiel: nemen – ich nime – ich nam – wir nâmen – genomen

Im Unterschied zu schwachen Verben bilden starke Verben aufgrund des nicht vorhandenen Dentalsuffixes ihr Partizip mit ge … en.

Sonderverben

Zuletzt gibt es noch die Sonderverben, worunter man alle Verben versteht, die sich nicht eindeutig in eine der anderen Kategorien einordnen lassen können. Sie weisen ein breites Spektrum an verschiedenen Formen auf, weshalb es kein einheitliches System gibt, nach nach dem man sie konjugieren kann.

Beispiel: turren – ich tar – ich torste – wir torsten (wagen, sich trauen)

Flexionsparadigmen

Alle Verben lassen sich nach einem festen Schema konjugieren, das sich von heute nur gering­fügig unterscheidet, u. a. durch ein zusätzliches e, das inzwischen in fast allen Personen synko­piert wurde. Manche Verben (besonders solche, deren Stamm auf l oder r endet) weisen eine verkürzte Infinitivendung auf (→ zeln, varn, tweln).

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