Kleine mittelhochdeutsche Reihe: Sangspruchdichtung
Sangspruchdichtung bezeichnet eine Lyrikform, die sich Ende des 12. Jahrhunderts im höfischen Kontext etabliert und Mitte des 14. Jahrhunderts vom städtischen Meistergesang abgelöst wird. Der Begriff Sangspruchdichtung ist dabei eine wissenschaftliche Wortprägung des 19. Jahrhunderts, um die gesungene Vortragsweise vom Sprechspruch abzugrenzen.
Als volkssprachliche Kunst fahrender und von Gönnern ideell und materiell abhängiger Berufssänger weist die Sangspruchdichtung ein breites Themenspektrum auf: Man findet weltliche moraldidaktische Lehren (auch zu Minne und Ehe) sowie Herrenlob und -tadel, religiöse Unterweisung im Sinne einer Vermittlung zentraler christlicher Werte und Dogmen, seit Walther von der Vogelweide (ca. 1190–1230) auch kritische Stellungnahmen zu aktuellen politischen Themen wie Kaiser, König, Papst und Kirche sowie Reflexionen über die eigene Existenz als fahrende Sänger wie auch über die eigene Dichtung und Kunst.
Im Unterschied zum Minnesang, in dem jedes Lied seinen eigenen Ton hat (Ton ist die Bezeichnung für eine musikalisch-sprachliche Struktur, die neben der Melodie das Reimschema, den metrischen Bau und die Strophenform umfasst), präsentiert die Sangspruchdichtung unter einem Ton – gleichsam wie Perlen auf einer Schnur – mehrere inhaltlich (ab-)geschlossene Einzelstrophen, die wiederum zu größeren inhaltlichen Strophenverbünden zusammengeschlossen werden konnten.
Frauenlobs Sangsprüche um 1300 gelten als künstlerischer End- und Höhepunkt der Gattung. Zu wichtigen Vertretern der Sangspruchdichtung zählen neben Walther von der Vogelweide noch Bruder Wernher, Reinmar von Zweter, der Marner, der Meißner, Rumelant von Sachsen, Konrad von Würzburg und Regenbogen. Frauenlobs Sangspruchwerk zeichnet sich durch hohen meisterlichen Anspruch und tiefe Gelehrsamkeit aus, womit er alle seine Vorgänger und Zeitgenossen zu übertreffen sucht.
Der Text wurde ursprünglich im Rahmen der Ausstellung “Zwischen Herz und Verstand. Einblicke in die Sprachwelten Frauenlobs” erstellt, die 2018 von Germanistikstudierenden der Uni Mainz konzipiert und durchgeführt wurde. Mehr dazu: https://frauenlob-2018.uni-mainz.de/