Patriotismus und der Miss(ge)brauch eines Begriffs
Es gibt vieles, was Deutschland von anderen Ländern unterscheidet, eines sticht jedoch besonders hervor: der Patriotismus – die Liebe zu seiner Heimat. Am krassesten fällt der Unterschied auf, wenn man sich dazu das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ anschaut – die USA. Sie sind wohl das Paradebeispiel für den Stolz und die Liebe zu seinem Vaterland. Egal zu welchem Ereignis, überall sieht man den Star-Spangled Banner im Wind wehen, in Reden wird sich immer wieder auf die mühsam erkämpfte Unabhängigkeit berufen und die USA zugleich als das beste Land der Welt bezeichnet, die Nationalhymne wird mit der Hand auf dem Herzen textsicher mitgesungen (der United States Code schreibt sogar vor, wie man sich während der Nationalhymne zu verhalten hat) und die Präsidenten werden zu wahren Heilsbringern verklärt. Man denke nur daran, dass man die Köpfe von vier Präsidenten in einen Berg gemeißelt hat!
In Deutschland gibt es auch Patriotismus, wenn auch nicht in dieser starken Form, vor allem bedingt durch den Nationalsozialismus. So wird man als Deutscher in anderen Ländern oft als „Nazi“ bezeichnet und Bilder von deutschen Politikern bei Demonstrationen in bestimmten Uniform dargestellt, wie man bei den Protesten gegen die Sparmaßnahmen in Zypern wieder sehen konnte. Mitunter gilt „deutsch“ schon als Schimpfwort.
Leider ist in der letzten Zeit (v.a. aufgrund der Flüchtlingsdebatten, aber auch schon bei der Namenswahl von einer gewissen Gruppierung) wieder eine Art übersteigerter Patriotismus aufgekommen (den es schon im Nationalismus des Kaiserreichs gab), bei dem Stolz auf das eigene Land mit der gleichzeitigen Ablehnung oder Schmähung anderer Länder einhergeht. Der Begriff wird missbraucht, um radikale Einstellungen zu rechtfertigen.
Dieser “Patriotismus” muss im Übrigen nur das eigene Land betreffen, es reicht manchmal schon, ein lokales Fußballspiel zu besuchen, wo sich der angestaute Hass mancher Leute entlädt.
Es ist erschreckend, dass es so viele Leute gibt, die sich selbst und ihr Land für etwas Besseres halten. Was heißt es überhaupt, stolz auf “sein Land” zu sein? “Das Land” dient hier als Metonymie für Dinge, die an diesem Ort hervorgebracht wurden. Meistens beruft man sich auf die Geschichte, Kultur oder irgendwelche Traditionen, die das Land hervorgebracht hat. Man selbst hat dazu meistens nichts beigetragen, trotzdem freut man sich, auf der selben abgesteckten Fläche zu leben wie irgendeine berühmte Person.
Wir leben in einem vergleichweise friedlichen, demokratischen Land. Trotz all der Dinge, die es zu kritisieren gibt, sei es die steigenden Altersarmut, der “Fähnchen im Wind”-Kurs der Politiker oder die Waffenlieferungen in Krisengebiete, sind wir in der Lage zu sagen, dass es uns gut geht. Laut dem Human Development Index und einer Untersuchung von 2013 ist Deutschland ein sehr hochentwickeltes Land – es liegt auf dem fünften Platz von 186 Ländern. Nichtsdestoweniger gibt das keinem das Recht, sich selbst mit vergangenen Leistungen zu brüsten, erst Recht nicht über heimatlose, besitzlose Flüchtlinge.
Letztlich ist es Zufall, in welche Verhältnisse man geboren wird, ob das ein Königshaus ist, in dem mit der Geburt das künftige Schicksal besiegelt ist, ein Land, in dem täglich Tonnen von Lebensmitteln weggeworfen werden oder eben ein Gebiet, das von Krieg geplagt ist. Leider sind wir uns dessen viel zu wenig bewusst.