Robert Löhr: “Das Hamlet-Komplott”
Ja, richtig gesehen! Robert Löhr hat drei Jahre nach seinem Roman „Das Erlkönig-Manöver“ dem Ganzen noch eine (indirekte) Fortsetzung gegeben, die ich bis vor kurzem noch gar nicht kannte. Lasst euch überraschen, zu welchem Ergebnis ich nach der Lektüre gekommen bin.
Informationen
Der historische Roman Das Hamlet-Komplott wurde von Robert Löhr geschrieben und ist 2010 im Piper Verlag erschienen. Er umfasst 360 Seiten.
ISBN: 978-3-492-27208-7
Klapptext
Mitten im Krieg zwischen Frankreich und Preußen versuchen sich Goethe und eine Handvoll Romantiker als Jäger des verlorenen Schatzes. Ihr Auftrag: die Krone des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation vor Napoleon in Sicherheit zu bringen. Doch die Spione des französischen Kaisers sind ihnen dicht auf den Fersen … Ein Dichter-Denker-Mantel-Degen-Roman, in dem nur Kugeln schneller fliegen als Zitate.
Inhalt (ausführlich und mit Spoilern!)
Oktober 1806: Nach der Schlacht von Jena und Auerstedt ist Napoleon im Begriff, ganz Europa einzunehmen und auch Goethe muss diese schmerzliche Erfahrung machen, als die Franzosen des Nachts sein Haus einnehmen.
Ein halbes Jahr später scheint schon fast wieder der Alltag eingekehrt zu sein, denn Goethe geht seiner Tätigkeit am Weimarer Hoftheater nach, als er plötzlich von dem Schriftsteller Ludwig Tieck aufgesucht wird, der ihm mitteilt, dass er einen Brief erhalten habe, in dem Heinrich von Kleist davon berichtet, dass er in Frankreich im Gefängnis sitzt. Tieck kann Goethe davon überzeugen, mit ihm Kleist zu befreien. Unterwegs sammeln die beiden Madame de Staël, Tochter des ehemaligen französischen Finanzministers Necker, inzwischen aus ihrer Heimat vertrieben und Napoleon hassend, sowie August Wilhelm Schlegel, der bei ihr als Lehrer arbeitet, ein, die sich dem Unterfangen anschließen. Um sich der streng bewachten Festung nähern zu können, beschließt man, sich als fahrende Schausteller zu verkleiden, da sich gerade zufällig solche an Staëls Hof aufhalten, und mit dem Wagen voller Requisiten und Kostüme gen Frankreich zu fahren. Die junge Schauspielerin Leonore mit ihrem Pudel Stromian schließt sich ihnen ebenfalls an.
Als die Truppe am Gefängnis ankommt, muss sie bemerken, dass Kleist längst freigelassen wurde. Sie nehmen seine Spur auf und verfolgen ihn bis an den Bodensee, wo sie ihn in tiefer Nacht auf einer kleinen Insel nach einem Gefecht mit fremden Männern stellen können. Er offenbart ihnen nun sein eigentliches Geheimnis: Er will die Krone des erloschenen Heiligen Römischen Reiches, die er am Bodensee ausgegraben hat, nach Preußen bringen, um ein neues Kaiserreich zu gründen und Napoleon zu besiegen. Dabei stellt sich heraus, dass die unbekannten Männer, die von der Gruppe bewusstlos geschlagen wurde, Kleist verfolgt, um ihn an seinen Plan zu hindern.
Gemeinsam wagt man den Weg zurück Richtung Preußen, der nicht so glimpflich verläuft, wie es sich die Gruppe erhofft hätte. Aufgrund des Theaterwagens hält man sie für richtige Schauspieler und verlangt mehrmals von ihr, ein Stück aufzuführen. In Ermangelung von Geld und Nahrung, einigt man sich auf Shakespeares Hamlet, den man mehr oder weniger geschickt improvisiert. Bei einem der Aufführungen kommt es zu Tumulten, woraufhin die Gruppe getrennt und zum Teil gefangen genommen wird – letztlich finden sie wieder zusammen, jedoch nur mit der Hilfe des Feindes, der einmal mehr beweist, wie dicht er ihnen auf den Fersen ist.
Da sich Goethe vor Bamberg von der Gruppe trennen möchte, regt er eine letzte Vorführung an. Diese gerät jedoch zur völligen Katastrophe und es kommt zum Streit. Das leerstehende Schloss, in dem sie die Nacht verbringen, fängt plötzlich Feuer, und nur mühsam können sich die Protagonisten nach draußen retten. Da die Krone fehlt, will Kleist, der in ihr das Symbol des Reiches sieht, zurück, wird allerdings aufgehalten. Stattdessen betritt Leonore das Gebäude, findet den leeren Behälter und kehrt lebend, aber deutlich geschwächt wieder zu den anderen. Tieck und Staël offenbart sie, dass sie ebenfalls eine Spionin sei, die Madame de Staël bewachen soll. In der folgenden Nacht stirbt sie an Rauchvergiftung, was Tieck, der sich in sie verliebt hat, schwer mitnimmt, trotz ihres Geheimnisses.
Kleist, aufgebracht übe den Verlust der Krone, beschuldigt Schlegel, mit ihrem Verschwinden im Zusammenhang zu stehen. Empört weist dieser den Vorwurf von sich und macht sich davon, verrät aber gleichzeitig, dass er Kontakt nach Wien hält, wo er die Krone lieber wissen möchte.
Die Gruppe reist ohne ihn weiter und trifft am Main auf ihre Verfolger. Es kommt zu einem blutigen Konflikt, bei dem sie nur durch Glück überleben und gleichzeitig ihre Pferde und den Theaterwagen einbüßen müssen.
Goethe hat einen letzten Vorschlag, wo sich die Krone befinden könnte, weshalb sie nach Nürnberg reisen. Tatsächlich finden sie nachts bei einem alten, jüdischen Goldschmied die Krone, der sie aus dem Schloss stahl, nachdem er einen Zacken der Krone, die Schlegel bei ihm gegen Geld tauschen wollte, als Teil der Königskrone erkannt hatte. Kurzfristig werden sie von ihm eingesperrt, kommen mit Schlegels Hilfe abermals frei und verstecken sich mit der Krone in einer Kirche, wo sie die Nachricht von Preußens Kapitulation vernehmen. Kleist ist am Boden zerstört, während man beschließt, dass Goethe die Krone in seinem Garten verstecken soll.
Oktober 1808.
Napoleon feiert seine Siege in Erfurt und hat seinen Besuch im Weimarer Theater angekündigt. Goethe trifft unter der Bühne auf Kleist, der seine Chance sieht, Napoleon zu töten, doch beide werden unerwartet von den Feinden überrascht, die noch immer hinter der Krone her sind. Umgehend geleitet man sie zu Goethes Garten – auch Napoleon ist anwesend – und beginnt zu graben, wobei man aber nur eine verfaulte Leiche – einen der Eindringlinge von 1806 – findet. Die Entourage zieht sich zurück, während Goethe und Kleist nun die richtige Krone ausgraben wollen. Als sie die Kiste finden, stellen sie jedoch fest, dass Schlegel ihnen zuvor gekommen ist und die Krone nach Wien gebracht hat. Ein ausstehendes Gespräch vertagend, trennen sich die Wege der beiden.
Schreibstil/Spannung
Im Prinzip lässt sich hier genau das wiederholen, was ich bereits bei meiner Erlkönig-Manöver-Rezension gesagt habe.
Wieder ist das Buch ist aus der Sicht eines allwissenden Erzählers im Präteritum geschrieben, der über den Protagonisten schwebt, sich dabei meist auf eine Personengruppe beschränkt, die er näher in den Fokus nimmt, und auch öfter größere Zeitsprünge vornimmt.
Das Buch beginnt mit einer kurzen Erzählung über den nächtlichen Franzosenüberfall in Goethes Haus, der zunächst die Handlung nicht beeinflusst, jedoch am Ende wieder eine Rolle spielt, als man den getöteten Soldaten mit einer wertvollen Kaisermünze in der Hand ausgräbt und Goethe so geschickt den Diebstahl der Krone vertuschen kann.
Spannung ist im Buch reichlich vorhanden, nach meiner Einschätzung sogar mehr als im letzten Teil, die wirkt wohl deshalb so intensiv wirkt, weil hinsichtlich der Protagonisten Schritt für Schritt neue Enthüllungen und Geheimnisse aufgedeckt werden, gleichzeitig aber auch immer wieder Dinge geschehen, die man nicht geahnt hat.
Auch „actionreiche“ Szenen gibt es: Zur Genüge sterben Figuren, werden in Fallen gelockt, bedroht und verhaftet, es kommt zu ausführlich beschriebenen Auseinandersetzungen und mit Tieck und Leonore bzw. Schlegel und Staël kommt auch die Liebe nicht zu kurz.
Struktur
Das Buch ist wie der Vorgänger in 12 Kapitel aufgeteilt, die den Titel des Handlungsortes bezeichnen, wobei sich die Figuren dieses Mal nicht auch zwingend an diesem Ort aufhalten. Als die Protagonisten Hamlet aufführen, nennt sich das Kapitel beispielsweise „Helsingör“, nach dem Handlungsort Hamlets, und das letzte Kapitel trägt die Überschrift „Erfurt“, obwohl es größtenteils in Weimar spielt.
Buchcover
Das Buchcover zeigt einen angedeuteten Theatervorhang, hinter dem das Gemälde „Neubrandenburg“ von Caspar David Friedrich zum Vorschein kommt. Mittig links befinden sich Buchtitel und Name des Autors in weißer Schrift.
Titel
„Das Hamlet-Komplott“ spielt auf das Drama „Hamlet“ von Shakespeare an, dem im Buch eine wichtige Bedeutung zukommt, da es die Protagonisten anfangs gezwungenermaßen, später mehr aus Spaß inszenieren. Dass sie sich für Hamlet entschieden haben, war dabei rein zufälliger Art. In der Eile suchte man ein Stück, das man gut kannte, und da man sich weder auf einen deutschen noch einen französischen Autor einigen konnte, kam man auf Shakespeare.
Rein sprachlich gesehen lehnt sich dieser Titel mit der Zusammensetzung aus einem Titel eines bekanntes Werkes und eines Wortes aus dem Bereich “Plan/Vorhaben” an den Vorgänger an.
Bewertung
Dass es zum „Erlkönig-Manöver“ noch eine Fortsetzung gibt, habe ich erst erfahren, nachdem die Lektüre jenes Buches schon über ein halbes Jahr her war, umso neugieriger bin ich auf den Inhalt geworden.
Unter diesem Buch darf man sich allerdings keine Fortsetzung im eigentlichen Sinne vorstellen. Zwar spielt die Handlung nach den Ereignissen aus dem ersten Buch, aber HK baut weder auf ihnen auf, noch werden sie in irgendeiner Weise erwähnt. Schiller, einer der Hauptfiguren des ersten Teils, ist zwar im zweiten Band tot, worauf mehrmals eingegangen wird, sein Ableben steht aber nicht zwingend in Korrelation zum ersten Teil.
Das einzige, was einem vielleicht auffallen könnte, ist das vertrautere Verhältnis von Goethe und Kleist im zweiten Teil. Dennoch stellt es kein Problem dar, wenn man die Bücher in umgekehrter Reihenfolge liest.
Nachdem ich den ersten Teil aufgrund seiner Unterhaltsamkeit, den versteckten Anspielungen und eingearbeiteten Zitaten sehr gelobt habe, hatte ich bei diesem Buch das Gefühl, der Anteil daran wurde zurückgefahren, um dem Ernsthafteren mehr Platz zu geben. Anspielungen waren meiner Meinung nach subtiler oder bereits so offenkundig, wie Goethes Abneigung dem Tod oder Hunden gegenüber, dass ich sie nicht mehr so empfunden habe. Die Gruppe bereist beispielsweise gehäuft verlassene Burgen, Schlösser, meist bei Nacht, beschäftigen sich mit der Deutschen Geschichte und werden in verschiedenen Arten mit dem Tod konfrontiert, was alles Motive der Romantik darstellen. Explizite Anspielungen darauf gibt es jedoch nicht und auch die erwarteten Konflikte Klassik vs. Romantik bleiben praktisch aus. Dafür gibt es mehr Dialoge, die sich mit den Beziehungen der Personen untereinander beschäftigen oder auch den politischen Ansichten.
Aber natürlich kommt das Buch nicht ohne aus. So gibt es hier auch wieder literarische Anspielungen, zu denen beispielsweise die Szene, in der Leonore in das brennende Haus rennt und nach der Krone sucht, die Kleists „Käthchen von Heilbronn“ entnommen ist, gehört, außerdem Faustzitate, die mehrmals eingebunden werden und allein die Handlung um eine Gruppe, die herumzieht und Theater spielen, erinnert an Wilhelm Meisters Lehrjahre. Der auffallendste Running Gag ist dieses Mal wohl der universale Schlüsselbund des Weimarer Theaters, zur Mitte des Buches fast vergessen, aber am Ende ein nützliches Utensil der Gruppe.
Die Handlung an sich unterscheidet sich nicht vom Vorgänger. Wieder zieht eine Gruppe von bekannten Schriftstellern durch die Lande, um im Geheimen einen Auftrag zu erfüllen, und werden dabei von Feinden behindert. Im Prinzip könnte man sagen, man hat ein Buch, bei dem bloß die Story und die Charaktere ausgetauscht wurden.
Auch die Gruppenstruktur ist gleich geblieben. Wir haben eine Art Anführer, der immer noch Goethe ist, und zwar so, wie man ihn sich allgemein vorstellt, und mindestens eine Frau, dieses Mal Madame de Staël, die die Bettina Brentano des ersten Teils ersetzt, ihr dabei vom forschen, eigensinnigen Charakter aber relativ nahe kommt. Des Weiteren den jungen, launenhaften und stürmischen Kleist, der in diesem Teil ein wenig von Schillers Idealismus geerbt hat, indem er nach einem konkreten Ziel, nämlich dem wiederauferstehenden Kaiserreich strebt, und die Krone mit seinem Leben beschützt, den ernsthafteren, kritischen Schlegel, der ständig nach Anerkennung seiner verehrten Madame sucht sowie den von Gicht geplagten Tieck, der sich in Leonore verliebt, die ansonsten jedoch selten in den Vordergrund gerät.
Erneut zeichnet die Protagonisten aus, dass sie keine wirklichen Veränderungen mitmachen, die Nachwirkungen erzeugen könnten. Wenn das Buch zu ende ist, sind die Charaktere wieder an ihrem alten Platz und gehen ihrer Tätigkeit nach. Was passiert ist, scheint wie vergessen zu sein.
Gleichzeitig gilt auch: Keiner der Protagonisten wird ausnahmslos positiv oder schlecht dargestellt, wir bekommen ihre Grillen, Meinungen, Vorzüge und Nachteile zu sehen. Dass dabei manches möglicherweise historisch weder korrekt noch vorstellbar ist, verzeiht man dem Buch aufgrund dem humoristischen, manchmal auch kritischen Umgang mit den Personen. Nicht umsonst ist ein Teil eines Briefes Schillers dem Buch als Vorwort vorangestellt, der betont, dass erst aus einem fiktiven Inhalt und realen Personen ein gutes Werk entstehen kann.
Fazit
Ein Buch, das einen über die damalige Zeit und die Autoren aufklärt, darf man bei dem “Hamlet-Komplott” nicht erwarten, aber diese Ansprüche stellt dieses auch gar nicht. Vielmehr haben wir erneut eine humorvolle, gut durchdachte Geschichte mit bekannten Größen, die sich leicht und genussvoll lesen lässt. Es gilt: Wenn die Realität eben zu langweilig ist, darf man ruhig im Topf der Kreativität wühlen.