Aldous Huxley: „Schöne neue Welt“ – Wirklich noch Utopie?
„Schöne neue Welt“ sind die freudigen Worte des kleinen „Wilden“ Michel (im Original John), entnommen Shakespeares Drama Der Sturm (dort heißt es: “O brave new world, that has such people in’t!”), der davon träumt, einmal die „Andere Welt“ der Zivilisation zu sehen. Doch dort angekommen, erkennt er schnell, in was für eine totalitäre und konforme, wahrlich schreckliche Gesellschaft er gelangt ist.
Schöne neue Welt von Aldous Huxley wurde unter dem Originaltitel Brave New World 1931 veröffentlicht. Die weit verbreitetste deutsche Ausgabe stützt sich auf die autorisierte Übersetzung von Herberth E. Helischka (auf den auch die Namens- und Ortsänderungen in der deutschen Ausgabe zurückgehen).
Gemeinschaftlichkeit, Einheitlichkeit, Beständigkeit sind die Grundprinzipien des „Weltstaates“, der nach einem neunjährigen Krieg im 21. Jahrhundert geschaffen wird.
Kinder werden nicht mehr geboren (im Gegenteil, „Mutter“ ist praktisch ein Schimpfwort), sondern in Laboren im Glas „hergestellt“ und bereits als Embryonen präpariert, sodass sie entweder außerordentlich intelligent werden („Alpha-Plus“ genannt), oder so entstellt und unterentwickelt, dass sie als Arbeiter herhalten müssen („Epsilon-Minus“). Nach der „Entkorkung“ manipuliert man die Kleinkinder so unterbewusst, dass sie nur das denken und tun, was sie sollen. Die wenigen, die sich dagegen wehren, werden auf Inseln verbannt. Andere, die dem System nicht angehören, die so genannten „Wilden“, leben in Reservaten und werden von den „Zivilisierten“ wie Zootiere behandelt.
Jegliche Individualität, Gefühle und Kreativität hat man verbannt – die Menschen sehen fast alle gleich aus, tragen ähnliche Namen und altern äußerlich nicht mehr. Feste Bindungen und wahre Liebe sind unerwünscht, stattdessen erwartet man offenen Umgang mit Sexualität bereits im Kindesalter sowie häufig wechselnde Partner. Bücher und Kunst sind längst nur noch Mythen, die „zu alt“ für die Menschen sind. An die Stelle eines Gottes ist jetzt „Ford“ getreten (in Anspielung an Henry Ford), den die Menschen kultisch verehren.
Der Tod erzeugt keine Angst mehr; jeder dient innerhalb seiner Klasse nur noch für das, wofür er geschaffen wurde.
Wenn doch einmal Qualen auftauchen, nimmt man ein drogenähnliches, süchtigmachendes Mittel, „Soma“ genannt, um in einer Traumwelt Leid und Schmerz zu entfliehen.
Dabei gibt es durchaus Menschen, die die negativen Seiten, die die verbannten Bücher und Ideen kennen. Bloß tun sie nichts, um dem System nicht zu schaden.
Meine Gedanken
Jedes Mal nach der Lektüre einen solchen Buches – wie auch nach anderen dystopischen Werken wie den „Tributen von Panem“ oder „Der Bestimmung“ – stellt sich mir die Frage, ob das wirklich möglich ist.
Sicher mag vieles heutzutage abstrakt und unwahrscheinlich wirken. Aber sind wir teilweise nicht schon nah an einen solchen Zustand herangekommen?
Wie die den Niedergang des Individuums einläutende Gesellschaft im Buch gibt der Mainstream vor, wie ich auszusehen habe und was ich haben muss, um dazuzugehören.
Ich trage die total angesagte Haarfrisur und bestimmte Markenklamotten; die neusten Sprüche und lustigsten Videos kenne ich auswendig, außerdem gehört mir das neuste und teuerste Smartphone mit Quizduell und Flappy Birds, Whatsapp, Facebook und Instagram. Mit 18 muss ich mit meinem eigenen Auto durch die Gegend cruisen, allein in Urlaub fahren und am besten schon zuhause ausgezogen sein.
Auf allen Feiern bin ich dabei. Ich saufe mir jeden Abend den Verstand aus dem Kopf, bin stolz darauf und prahle nebenbei mit meinen Shishaerfahrungen.
Wenn ich das nicht tue, bin ich langweilig, übersehbar. Ich bin zwar da, aber nur halb, denn bei den coolen Geschichten kann ich nicht mitreden.
Sicher, nicht jeder wirkt an diesem Trend mit; genauso werden es viele ablehnen, zum Mainstream gezählt zu werden, auch wenn sie den Großteil dieser Klischees erfüllen, weil sie von sich aus Spaß daran haben und diese Dinge nicht blindlings von anderen übernommen haben, um mitreden zu können. Aber er ist da. Zweifellos. Es wird immer eine Gruppe von Menschen geben, die, bewusst oder unbewusst, die allgemeine Richtung vorgeben.
- Den Zweck des Betäubungsmittels „Soma“ erfüllt der übermäßige Konsum von Alkohol und Nikotin. Wenn Schule, Familie und Freunde – kurzum die ganze Welt – gegen mich sind, wenn ich mich allein, schwach, mutlos fühle – Gefühle, die keiner sehen darf –, fliehe ich in eine falsche, schädliche Welt, anstatt mich der Realität zu stellen, so hart sie manchmal auch sein mag.
- Die Welt im Buch ist nicht auf Gewalt ausgerichtet; trotzdem werden jene, die zu viel hinterfragen, auf ferne Inseln verbannt. Dass in der Realität missliebige Personen einfach entfernt werden, ist keine neue Idee. Und trotzdem geschieht es immer noch. Täglich. Ohne, dass wir es mitbekommen.
- In-vitro-Fertilisation gibt es heute bereits. Nicht in dem Ausmaße und zum selben Zweck wie im Buch, aber die Möglichkeiten der Befruchtung im Glas sind vorhanden.
Fazit
Manch ein Buch (wie auch Im Westen nichts Neues oder 1984) muss man einfach selbst gelesen haben, um es zu begreifen. Huxleys Buch ist 1931 erschienen, spielt etwa 600 Jahre danach in der Zukunft und scheint doch so aktuell wie nie zu sein.
Es ist noch nicht so weit, dass man den perfekten Menschen im Glas züchtet oder die Menschen zu willenlosen Arbeitern entwickelt – aber das ist kein Schutz davor, dass es nicht irgendwann dazu kommen wird.