Über Selbstverständlichkeit in der heutigen Gesellschaft
Neulich erzählte uns eine Lehrerin im Deutschunterricht, sie habe vor ein paar Tagen ihr Smartphone in der Bahn verloren. Als sie am nächsten Tag ohne große Hoffnung ins Fundbüro der Bahn ging, fand sie ihr Handy dort tatsächlich auf. Glücklich wollte sie sich bei dem Finder melden, um sich bei ihm zu bedanken und ihm einen Finderlohn zukommen zu lassen. Heutzutage sei es schließlich nicht mehr selbstverständlich, dass jemand ein Handy abgibt, anstatt es selber zu behalten. (Am Ende konnte man die Schrift des Finders nicht entziffern…)
Als sie das erzählte, dachte ich bei mir, dass ich doch auch ein gefundenes Handy abgeben würde, und dass viele es mir gleichtun würden. Was soll man denn noch mit einem weiteren jeder – mittlerweile haben doch so viele selber ein gutes. Aber da glaubte ich anscheinend mal wieder zu sehr an das Gute in Menschen.
Noch am selben Tag erzählte mir eine Freundin, sie habe irgendwo ein Smartphone gefunden. Sie freute sich darüber sehr, denn nun hatte sie ein Zweithandy. Ein Zweithandy. Ist das zu fassen?
Wenn jemand kein Smartphone hat und das gefundene Handy als Chance sieht, auch endlich auf dem gleichen Stand zu sein wie viele Freunde, finde ich das Behalten des Handys noch nachvollziehbar – nachvollziehbar, aber keineswegs gerechtfertigt. Doch wenn jemand schon ein Handy hat, wozu braucht er dann bitte ein Zweithandy? Als Ersatz? Als verstärktes Statussymbol? Einfach, um sagen zu können, dass man zwei Handys hat?
Und was macht dann der eigentlich Besitzer des Handys? Er hat wahrscheinlich kein Zweithandy, sondern nun gar keines. Warum braucht jemand zwei Handys und kann guten Gewissens eines finden und behalten, wenn klar ist, dass jemand anders nun gar keines mehr hat? Ist das wirklich nötig? Sollte es nicht selbstverständlich sein, dass man Menschen ihr Eigentum zurückbringt und ihnen hilft? Anscheinend für viele nicht.
Nicht nur diese Handystory zeigt, dass vieles nicht mehr Selbstverständlich ist. Es gibt so viele Beispiele: Freunden zu helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Anderen, die ihr Essen oder Trinken vergessen haben, wenigstens einen Schluck abzugeben, wenn man doch schon eine volle 0,5-Liter-Flasche dabei hat und das Gegenüber gar nichts. Geld auch ohne Aufforderung zurückzugeben anstatt darauf zu hoffen, dass die Schuld vergessen wird. Beim Gehen durch eine Tür auch mal hinter zu schauen, um festzustellen, ob noch andere durch die Tür gehen wollen, denen man die Tür aufhalten könnte.
Das alles sind Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Eigentlich. Sie sie aber anscheinend nicht mehr. Also ich finde das irgendwie echt traurig. Wo werden wir eines Tages sein, wenn es immer nur um Bereicherung und den eigenen Vorteil geht und keiner mehr dem anderen hilft?
Du hast ein postives Erlebenis erzählt bekommen und ein vergleichbares negatives – aber ‘typisch Mensch’ steigerst du dich in das Negative viel mehr rein.
Es geht ja nicht darum, sich ins Negative reinzusteigern. Klar gibt es viele gute Menschen auf der Welt, für die vieles selbstverständlich ist. Aber dass man sich freut, dass das Handy abgegeben wird, zeigt ja, dass es eben NICHT selbstverständlich ist, dass man seine Sachen zurückbekommt. Das ist ja der Sinn des Artikels. Es ist schon eher selbstverständlich, dass man dem anderen auch Wasser einschenkt, wenn man sich selbst einschenkt, aber wenn man seine Tasche vergisst, ist es selbstverständlich, dass jemand denkt: “Pech gehabt, hab ich gefunden, darf ich behalten”, als dass jemand die Tasche zurückgibt. Meiner Meinung nach aber sollten wir alle gute Menschen sein und Sachen zurückgeben. Ich denke, im Alltag erleben wir (zumindest in unserem Land) viel mehr Gutes als Schlechtes, aber die Dinge, über die ich geschrieben habe, sind eben nicht selbstverständlich… Das hat nichts mit ins Negative reinsteigern zu tun, natürlich weiß ich, dass es auch gute Menschen gibt ^^.
Würdest du denn einen 100-Euro-Schein beim Fündbüro abgeben? Wenn du ehrlich bist wohl eher nicht… und wo ist dann die Grenze zwischen Tasche und Geld finden. Die ist bei jedem unterschiedlich.
Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich einen Schein abgeben würde, wenn es nur der Schein ist. Aber nicht, weil ich ihn unbedingt behalten will, sondern weil er ja bestimmt sowieso nicht zu seinem Besitzer zurückfindet. Wie soll man beweisen, dass man einen 100€-Schein verloren hat? Würde ich aber etwas Materielles finden oder einen Geldbeutel mit Geld drin, würde ich das auf jeden Fall abgeben. Sonst wüsste ich, dass ich mich richtig schlecht fühlen würde und ewig denken würde, dass ich das Zeug doch eher hätte abgeben sollen. Und wenn man es abgegeben hat, ist das ein schönes Gefühl und auch die richtige Tat. Aber weiß, dass die meisten nicht so denken oder sich deren Gewissen anscheinend auf andere Bereiche ausstreckt.
Ich kenne tatsächlich auch eine Person mit zwei Handys. Ein Smartphone zum üblichen Chatten und gleichzeitig ein älteres Klapphandy am Ohr, um zu telefonieren. Da fragt man sich, ob beides allein schon so langweilig geworden ist, dass man wiederum das andere braucht, um diese Langeweile zu kompensieren. Mir fallen kaum noch Worte ein, um dieses Phänomen zu beschreiben.
Ergänzung zu den Beispielen: Selbstverständlich sollte eigentlich auch ein “Danke” sein, das leider heutzutage oftmals vergessen wird. Sicher ist das “Ich helfe dir nur, wenn du mir auch hilfst” nicht unbedingt das redlichste Prinzip, aber unglücklicherweise fällt häufig genug der ehrlicher Dank gleichermaßen dem puren egoistischen Nutzen zum Opfer.
Stimmt, auf den Dank wollte ich auch noch eingehen! Vergessen ^^”. Aber jetzt hast Du es ja eh schon angemerkt.
Und manche Leute scheinen anderen Leuten nicht einfach so eine Freude machen zu können und wollen… Das finde ich wirklich traurig. Genauso wie wenn jemandem etwas Ungerechtes bzw. einfach Ungewolltes angetan wird, und dieser jemand dann direkt Rache nehmen muss oder dem “Schädlichen” auch irgendwie schaden muss. Wieso kann man sich nicht einfach im Stillen ärgern und es dabei belassen oder meinetwegen der Person den Ärger mitteilen anstatt gleich genauso schlecht zu werden und der Person etwas anzutun, was man selber nicht wollte?