Verhinderte Liebe – Ein Vergleich zwischen Schillers “Kabale und Liebe” und Fontanes “Irrungen, Wirrungen”

Sowohl Friedrich Schillers (1759-1805) Drama Kabale und Liebe aus dem Jahr 1784 als auch Theodor Fontanes (1819-1898) Roman Irrungen, Wirrungen von 1888 thematisieren eine Liebe, die aufgrund von Standesschranken jeweils ein tragisches Ende findet. Es bietet sich daher an, beide Werke einmal zu vergleichen.

Die von mir benutzten Ausgaben wurden beide in der Reihe Suhrkamp Basisbibliothek veröffentlicht. Bei Irrungen, Wirrungen ist es die 3. Auflage von 2013 und bei Kabale und Liebe die Originalausgabe von 1999.

Der Vergleich

Im Mittelpunkt von Schillers Drama steht die Beziehung zwischen dem Adligen Ferdinand von Walter und der Bürgerlichen Luise Miller. Sowohl Luises Eltern als auch Ferdinands Vater zeigen Vorbehalte gegen diese Verbindung, besonders letzterer, da er nicht viel vom Bürgertum hält und er für Ferdinand bereits Lady Milford als Gattin auserkoren hat. Da sich das junge Paar nicht freiwillig voneinander trennen will, spinnt er eine Intrige: Indem er Luises Eltern gefangen nimmt, zwingt er diese, einen gefälschten Brief an ihren vermeintlichen Liebhaber zu schreiben, den Ferdinand erhalten soll, und lässt sie schwören, nicht darüber zu sprechen. Die Intrige gelingt und Ferdinand erzürnt. Mehrmals will er Luise zur Rede stellen, doch da diese nichts sagen darf, beschließt er kurzerhand, sich und seine Geliebte mit Gift umzubringen. Durch den lauernden Tod vom Schwur befreit, erklärt diese nun, was geschehen ist. Umringt von Luises Eltern sowie Ferdinands Vater sterben beide.

Fontanes Roman handelt von der Beziehung zwischen dem Adligen Botho und der Bürgerlichen Lene. Trotz der Unterschiede, die sich in Besitz und Bildung zeigen, lieben sie sich.
Bothos Mutter möchte jedoch, dass ihr Sohn seine Cousine Käthe heiratet. Lene, die bereits geahnt hat, dass ihre Beziehung nicht ewig während würde, lässt ihn gehen. Trotzdem ist sie traurig über die Trennung; als sie ihn und seine Frau einmal auf der Straße sieht, stellt sie fest, dass er in der Nähe wohnt, weshalb sie umzieht. Wenig später lernt Lene Gideon Franke kennen, den sie heiratet, obwohl er mehr als doppelt so alt ist.

Lene und Luise sind beide bürgerlich und leben in sehr bescheidenen Verhältnissen; Luise mit Vater und Mutter, Lene mit Frau Nimptsch, die sie angenommen hat in der Mietwohnung des Ehepaars Dörr. Was sie beide vereint, ist ihre Haltung bezüglich ihrer adligen Geliebten. Trotz ihrer geringen Bildung sind sie vernünftig und realistisch genug, um die Kluft, die sie und ihre Partner trennt, zu sehen. Der Unterschied liegt im Umgang: Luise denkt jenseits gewandt und möchte nach dem Tod zu Ferdinand finden, weil sie für das jetzige Leben keine Möglichkeit sieht, zusammen zu sein. Lene hingegen genießt die Augenblicke mit ihrem Geliebten und als das Ende naht, ist sie bereit, ihn zu verlassen und einen anderen Partner zu wählen.

Parallel dazu sind Botho und Ferdinand adlig, wobei Ferdinand am Hof aufgewachsen, wo sein Vater eine hohe Position inne hat. Gleich ist ihnen ihr Umgang mit ihrer Liebe. Beide verstehen die Zweifel ihrer jeweiligen Geliebten an ihrer Beziehung nicht bzw. wollen davon nichts wissen. Stattdessen sehen sie sie bereits als Frau an ihrer Seite. Ferdinand ist in seinem gesamten Verhalten ungestümer als Botho, der akzeptiert, was auf ihn zukommt.

Luises Eltern haben Vorbehalte gegen den Adel, wobei sich diese Vorbehalte vornehmlich gegen Ferdinand richten, von dem Miller fürchtet, seine Tochter zu entehren. Für Ferdinands Vater ist es ausgeschlossen, dass sein Sohn eine Bürgerliche heiratet. Er möchte das Schicksal seines Sohns selbst in die Hand nehmen, weshalb Luise der Heirat, die er sich zwischen seinem Sohn und Lady Milford wünscht, im Wege steht. Er benutzt die Intrige, um beide zu trennen und schreckt nicht davor zurück, mittels seines Sekretärs Luise zu bedrohen und deren Zuneigung zu den Eltern als Erpressung zu benutzen.

Botho ist in Lenes Umfeld ein gern gesehener Gast bei den abendlichen Zusammentreffen, auch er sucht immer wieder die Gesellschaft von Frau Nimptsch und Frau Dörr. Lene hingegen ist Bothos Familie nicht bekannt. Auch so hat Bothos Mutter bereits beschlossen, dass er seine Cousine heiratet. Aus diesem Grund gibt es in Fontanes Werk keine Intrige: Sie ist schlichtweg nicht nötig, denn Botho fügt sich der von seiner Mutter geplanten Hochzeit.

Bei Schiller erfolgt die Intrige als notwendige Konsequenz in einer festgefahrenen Situation. Trotz misslicher Umstände wollen Ferdinand und Luise sich nicht trennen, weil sie sich lieben. Dennoch sind sie nicht bereit, der auferlegten Zukunft durch Flucht zu entkommen, weil sie zu sehr in ihrer jeweiligen Welt und ihrer Herkunft verhaftet sind. Der Vater will hingegen endlich seinen Sohn verheiraten. Die Intrige möchte lediglich eine Entscheidung erzwingen, nämlich ob sich Ferdinand unterwirft und Luise verlässt oder sich endgültig allein zu ihr bekennt. Die gewünschte Entscheidung tritt jedoch nicht ein ob Ferdinands Drang zur Rebellion, ebenso wenig die zweite, denn er ist zu naiv und glaubt an die Intrige, während Luise zu gläubig ist, um ihren Schwur zu brechen und die Wahrheit zu sagen

Die glückliche Beziehung scheitert schlussendlich also nicht nur an der Intrige, sondern an der verweigerten Bereitschaft, sich völlig von ihre Anschauungen zu befreien.

Kabale und Liebe ist ein Drama des Sturm und Drangs, einer Zeit, die ganz im Zeichen des Geniegedankens steht: Ein Genie gibt sich selbst die Regeln und geht stürmisch gegen alles vor, was ihm nicht passt. Ferdinand repräsentiert den Gedanken insofern, als dass er ohne Vorbehalte gegen seinen Vater, Lady Milford und den vermeintlichen Liebhaber Kalb vorgeht, und damit für seine Liebe gegen sein vorbestimmtes Schicksal aufbegehrt. Doch er ist nicht konsequent genug.
Zwar wählt er den gemeinsamen Tod mit Luise, doch ist er kein Liebestod nach dem Motto: „Wenn es eben so ist, dann müssen wir auch nicht länger damit leben“, sondern dieser Ausweg wird von dem rasenden Ferdinand erzwungen, weil er es nicht ertragen kann, dass Luise einen angeblichen zweiten Liebhaber besitzt, aber ihm die Wahrheit nicht gestehen möchte.

Bei Botho und Lene sind es die Gesellschaft inklusive der Meinung von Vertrauten, die Geldfrage und auch der elterliche Beschluss, jemand Ausgewähltes zu heiraten, der sie trennt. Die beiden fügen sich den Konventionen und heiraten jemanden anderes, gemäß des Satzes: „Wenn es eben so ist, können wir nichts machen.“ Botho sagt selbst darüber: „Herkunft bestimmt Tun. Wer ihm gehorcht, kann zugrunde gehen, aber er geht besser zugrunde, als der, der widerspricht.“

Botho will Käthe eigentlich nicht, genauso wenig wie Ferdinand Lady Milford will, aber anstatt zu rebellieren, fügt er sich, weil er nicht zuletzt mit ihr Geld und eine gesittete Ehe erhält. Die Ehe verläuft glücklich und beide Partner sind zufrieden, doch immer wieder wird erwähnt, dass diese Beziehung unbedeutend ist im Vergleich zu der Zeit mit Lene. Käthe ist oberflächlich und kann sehr gut nichtssagende Gespräche führen. Für Botho hat Lene das, was seiner Frau fehlt, nämlich Ehrlichkeit, Wahrheit und Einfachheit. Immer wieder tauchen in seinem neuen Leben Parallelen und Gegensätze zwischen der Zeit mit Käthe und Lene auf.

Botho kommt über die Zeit mit seiner Geliebten nicht hinweg. Er will sich zwar immer wieder dazu zwingen, aber selbst als er das letzte Andenken an sie verbrennt, muss er sich gestehen, dass er trotzdem nicht frei ist und die alte Liebe nicht erloschen ist. Das Materielle ist fort, aber die Erinnerungen bleiben. Seiner Frau gegenüber verheimlicht er seine Gefühle.

Lene hingegen trauert um ihn, kann jedoch letztlich mit dieser Zeit abschließen. Bevor sie Gideon ehelicht, gesteht sie ihm aus Ehrlichkeit ihre Vergangenheit, woraufhin er ein Gespräch mit Botho sucht. Beide sind gewissermaßen „im Reinen“ miteinander.

In Fontanes Werk wird mit den beiden Figuren sehr deutlich die Zeit des Realismus repräsentiert. Botho und Lene nehmen bzw. sehen die Welt, so wie sie ist und greifen keine herrschenden Sitten an. Flucht ist für sie undenkbar.

Auffallen ist, wie sich in zwei Nebenfiguren Leiden der beiden widerspiegelt: Zum einen Frau Dörr, die ebenfalls eine Beziehung mit einem Adligen hatte und letztlich Dörr geheiratet hat, mit dem sie jedoch nicht zufrieden ist und zum anderen Rexin, einem jungen Mann, der ebenfalls eine bürgerliche Geliebte hat und sich unschlüssig ist, was er tun soll. Letztlich sind Lene und Botho also nicht allein mit ihrem Problem, was dessen Allgemeingültigkeit unterstreicht.

Letztlich träumen alle vier Hauptfiguren von der großen Liebe und müssen feststellen, dass die gesellschaftlichen Begebenheiten stärker sind als ihre Gefühle.
Beide Werke sind für ihre Zeit sehr gesellschaftskritisch, denn sie hinterfragen die Hindernisse, die durch die unterschiedlichen Stände geschaffen werden, an denen ein gewöhnlicher Umgang und erst recht Beziehungen abprallen. Interessant dabei ist, dass zwischen Schillers Drama und Fontanes Roman fast 100 Jahre liegen und das Thema offenbar nicht gealtert ist. Luise und Ferdinand sterben, bei Botho und Lene bekommt man die Auswirkungen der Standesgrenzen zu spüren, was die beiden Werke auf ihre Weise zur Tragödie macht.

Fazit

Auch wenn heutzutage die Mehrheit entscheiden darf, wen er lieben darf, bleibt das Thema “Hindernisse, die einen vertrauten Umgang erschweren” bestehen. Vielleicht ist es nicht länger die verbotene Liebe durch Standesschranken, aber die Gesellschaft, die vorgibt, was „normal“ und akzeptiert ist, ist nicht ausgestorben.

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